Audio Modeling SWAM Engine
Realistische und ausdrucksstarke Instrumente ohne Samples
Autor: Lars Deutsch
Die SWAM Engine von Audio Modeling modelliert Blechbläser, Streicher und Holzblasinstrumente als Soloinstrument und Gruppen. Dieser Testbericht deckt die gesamte SWAM-Reihe ab. SWAM steht für Synchronous Waves Acoustic Modeling, eine Kombination aus physikalischer und verhaltensbasierter Modellierung. Anders ausgedrückt: Eine Technologie, die eher einem Synthesizer als einer Sample-Bibliothek ähnelt. SWAM triggert keine Samples, was deutlich weniger belegter Speicherplatz auf Ihrer Festplatte bedeutet und eine synth-ähnliche direkte Kontrolle über Artikulation und Klangfarbe ermöglicht.
Konzept
Es gibt drei SWAM Engines. SWAM-B modelliert Blechblasinstrumenten, einschließlich Dämpfern. SWAM-W fängt die Essenz von Flöten, Klarinetten, Saxophonen usw. also Holzblasinstrumenten ein und SWAM-S modelliert Streichinstrumente.
Um Audio Modeling zu zitieren: „Die Multivektor-/phasensynchrone Sample-Morphing-Technik entfaltet ihre volle Wirkung im Bereich der ausdrucksstarken Multivektor-Akustikinstrumente. Diese Instrumente, die sich durch ihren Bedarf an kontinuierlicher Energie und mehrdimensionaler Kontrolle durch den Musiker auszeichnen, werden durch SWAMs transformativen Touch zum Leben erweckt.“
Das bedeutet, dass die Engine wie ein echtes Blechblas-, Holzblas- oder Streichinstrument gespielt werden möchte. Das bloße Drücken einer Taste auf dem Keyboard erzeugt nicht unbedingt einen Ton, und erst recht keine brauchbaren Ergebnisse. Tatsächlich erscheint beim ersten Öffnen eines der Instrumente ein Fenster, in dem neben der Tonhöhe mindestens ein Vektor/Parameter eingerichtet werden muss. Die SWAM-Engine erwacht durch die Steuerung von Ausdruck und zum Beispiel Vibrato zum Leben. Neben Tonhöhe steuert man auch Bogen- oder Luftdruck, was in der Regel über das Mod-Wheel und andere zugewiesene Steuerelemente erfolgt.
Synthese intern
Hier eine technische Beschreibung der Vorgänge im Inneren. SWAM-Instrumente basieren auf fortschrittlicher Physical-Modeling-Synthese, basierend auf der digitalen Waveguide Synthese – einer Technik, die ursprünglich von Prof. Julius O. Smith an der Stanford University entwickelt wurde. Ein physikalisches Modell beschreibt ein akustisches System durch mathematische Differentialgleichungen, die diskretisiert und in Software implementiert werden. Die meisten akustischen Instrumente lassen sich auf drei Komponenten reduzieren: den Erreger (wie z. B. Atem oder Bogen), den Resonator (Rohr oder Saite) und den Strahler (Korpus oder Resonanzboden).
In SWAM werden diese Elemente mithilfe proprietärer Algorithmen für den Erreger, Rückkopplungs-Verzögerungsleitungen (Wellenleiter) für den Resonator und Faltungstechniken für den Strahler digital nachgebildet. Das Besondere an SWAM ist sein Ansatz der Verhaltensmodellierung, der eine ausdrucksstarke Echtzeitsteuerung ermöglicht, die weit über herkömmliche Systeme hinausgeht.
Jedes Produkt durchläuft vor seiner ersten Veröffentlichung durchschnittlich zwei Jahre Forschungs- und Entwicklungszeit. Die gesamte Software wird in C++ unter Verwendung des JUCE-Frameworks entwickelt, um Leistung, Portabilität und Integration in moderne Musikproduktionsumgebungen zu gewährleisten.
Installation
SWAM ist für macOS ab 10.13 und ab Windows 10 ab als Standalone-, VST-, VST3-, AU- und AAX-Versionen verfügbar. Es gibt auf iOS-Versionen. Die gesamte Kollektion aller Gruppen und Soloinstrumente benötigt lediglich 800 MB Festplattenspeicher. Einzelne Instrumente können bis zu 25 MB klein sein. Die Installation erfolgt schnell und einfach über das Audio Modeling Software Center, das die entsprechenden Installationsprogramme öffnet. Die Installation ermöglicht vier Aktivierungen auf vier Computern. Das Aktivieren und Deaktivieren eines Computers ist einfach. Audio Modeling verwendet einen eigenen Urheberrechtsschutz, der den Computer aktiviert, von dem aus die Installation erfolgt.
Ich weiß vier Lizenzen sehr zu schätzen, insbesondere in Kombination mit der schnellen und einfachen Installation. Man kann die gesamte Suite schnell installieren, damit arbeiten, vielleicht unterwegs im Studio eines Kollegen, und den diese Lizenz nach der Session problemlos wieder deaktivieren. SWAM-Instrumente sind auch als Testversionen verfügbar.
Bedienung
Audio Modeling sagt selbst, dass es etwas Übung braucht, um das Beste aus seinen Instrumenten herauszuholen. Das stimmt so auch. Im ersten Schritt wählt man ein MIDI-Preset, in meinem Fall MPE, und weist Expression, Vibrato oder beides der gewünschten Stelle auf dem Controller zu. Die Benutzeroberfläche macht das sehr einfach und intuitiv. Je nach Controller und Vorlieben sind möglicherweise noch einige Anpassungen erforderlich.
Danach ist es an der Zeit, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie SWAM reagiert und wie man den gewünschten Klang erzielt. Es gibt Tuning-Presets, zahlreiche Klanganpassungen und einige versteckte Schätze zu entdecken. Außerdem gibt es einige sehr hilfreiche bereits konfigurierte Patches für verschiedene Stile und Klänge.
In einem Sample-Library-Workflow wählt man beispielsweise ein romantisches Cello-Instrument, wählt das oder die passenden Mikrofone aus und legt los. Mit der SWAM-Engine erreicht man einen bestimmten Klang, indem man die Elemente anpasst, die ihn modellieren. Das ist nicht schwierig, und die Benutzeroberfläche ist recht übersichtlich.
Es ist einfach ein neuer Ansatz, der nach ein paar Skizzen intuitiv verständlich ist. Der große Vorteil: Es braucht nur ein Solo-Trompeteninstrument, denn diese Trompete eignet sich für alles von Jazz über Pop bis hin zu Klassik. Der Klang auch über Presets oder Genres hinaus angepasst werden. SWAM-Instrumente sind sowohl für Studio- als auch Live-Nutzung geeignet.
Erster Eindruck
Nach einer kurzen Lernphase reagieren die Blech- und Holzblasinstrumente sehr gut auf Phrasierung und andere Nuancen. Es ist fast ein wenig überraschend, wie gut. Ich habe kürzlich eine Flöten-Bibliothek getestet, die jetzt im Vergleich viel blasser wirkt. Die selben Melodien auf der SWAM-Flöte sind viel direkter und lebendiger.
Die Blech- und Holzblasinstrumente klingen sehr beeindruckend, und ich finde kaum ein virtuelles Instrument, das mich der Ausdruckskraft des realen Instruments näher bringt. Auch die Kontrolle über die Streicher ist hervorragend, aber der Unterschied zu den Streicher Libraries, die ich habe, erscheint mir etwas kleiner.
Da sich alle Sounds aus einem Modell generiert, gibt es Grenzen wo gesamplete Libraries in einer Produktion helfen können. Zum Beispiel bei avantgarde Spieltechniken oder dem spezifischen den Klang eines bekannten Performers oder Instrumentes.
Holzbläser / Flöten
Als erstes probierte ich die Flöten aus und entdeckte im Flöten-Plugin ein Bansuri-Preset. Mit diesem Preset schrieb ich eine Skizze und lernte die Steuerung kennen. Ich wählte ich eine MPE-Einstellung und wies dem ModWheel Vibrato zu. Der Aftertouch meines Osmose-Controllers löste die Flatterzunge aus. Die Steuerung ist präzise und der Klang sehr ausdrucksstark.
Als Nächstes machte ich mich mit den anderen Flöten vertraut und verwendete die Altflöte für eine Filmmusik. Das Projekt hat eine Sequenz mit japanischer Animation in Wasserfarben, es war einfach den Klang der Flöte an die Bilder anzupassen und mit den bereits in der Filmmusik vorhandenen japanischen Flöten zu kombinieren. Der Klang lässt sich einfach über einen Stilregler anpassen, der abstuft zwischen klassischen, Jazz- und ethnischen Optionen.
Ein Vogel spielt eine wichtige Rolle im Film, und es war kein Problem, seine Bewegungen und Aktionen mit der nötigen Dynamik, Flatterzunge usw. einzufangen.
Blechbläser / Holzbläser
Danach habe ich eine Blaskapelle zusammengestellt und eine kleine Jazz-Skizze geschrieben. Siehe Video 2. Phrasierung und Musikalität sind sehr überzeugend. Ich habe etwa die Hälfte der Instrumente gespielt und für die andere Hälfte kopierte MIDI-Dateien verwendet, deren Tonhöhe angepasst habe.
Die Instrumenteninstanzen kommunizieren miteinander und treffen sich alle in Ambiente, SWAMs Hall- und Raum Plugin. Um eine bessere Stereobalance zu erzielen, habe ich die Instrumente im Ambiente-Raum so lange verschoben, bis es für mich ausgewogen klang. SWAM warnt den User, wenn sich Instrumente gegenseitig maskieren oder Aliasing auftritt.
Die selbe Skizze habe ich als Score für einen Werbespot angepasst. Der Spot soll locker und lustig sein, daher habe ich die tieferen Blechbläser bevorzugt und eine Tuba hinzugefügt. Zum Vergleich habe ich meine gesampelten Tubas ausprobiert. Keine von ihnen erreichte die straffe und präzise Phrasierung der übrigen Blechbläser, daher war die SWAM-Tuba der klare Gewinner. Zugegeben, meine Tubas waren für diese Jazz-Partitur eher klassisch, aber das unterstreicht auch den Vorteil der modellierten Instrumente – sie sind sehr flexibel. Es war einfach, einer Tuba-Performance eine humorvolle Note zu verleihen.
Nach diesen Skizzen fiel mir auf dass meine Expression (die durch den Tastendruck gesteuert wurde) meines Osmose-Controllers sehr oft Anschlagstärke 127 erreichten. Um das Problem schnell zu beheben, habe ich die maximale Expression der Gesten auf meinem Osmose reduziert. MPE kann sehr viel, aber die Bearbeitung kann mühsam sein. Ich möchte die Expression jeder Note auf verschiedenen MIDI-Kanälen lieber nicht manuell reduzieren müssen. Audio Modeling bietet Voreinstellungen für verschiedene Controller und arbeitet an einer für Expressive E’s Osmose. Nach Input von Audio Modeling habe ich mein Mod-Wheel von der Steuerung des Vibratos auf die Steuerung der Expression umgestellt. Das hat die Bearbeitung deutlich beschleunigt. Mein Vibrato reagiert jetzt leicht auf Tastendruck. Für eine sehr detaillierte Kontrolle über das Vibrato führe ich das Vibrato separat aus und zeichne es über Latch/Automatisierung in Logic auf.
Streicher
Während ich diese Rezension schrieb, hörte ich mir klassische Filmmusik an. In einem Hollywood-Jazz-Hybrid-Soundtrack aus den Siebzigern fand ich eine kleine Streichermelodie, die mir gefiel. Ich stellte mir vor, dass der Klang mit einem kleinen Jazzorchester in mit einigem Abstand mit Bändchenmikrofonen aufgenommen wurde. Die Streicher waren mit Dämpfer (con sordino) gespielt, und ein typisches Merkmal dieser Ära scheint zu sein, dass die Höheren Noten, gerade am Anfang, einen Tick zu hoch sind, also ganz leicht verstimmt sind.
Um zu testen, wie nah ich diesem Klang kommen kann, verwendete ich die Geigen, Bratschen und Cellos von SWAM. Ich positionierte sie in Ambiente weit vom Mikrofon entfernt, fügte die Einstellung „Mute“ (Sordino) hinzu, spielte mit der Stimmung der Noten und versuchte die Phrase wie ein Streicher zu spielen. Danach probierte ich eine aktuelle, hochwertige Streicher-Library im Vergleich und versuchte, der Referenz so nah wie möglich zu kommen. Dann spielte ich dieselbe Melodie mit einer Orchester-Library (con sordino). In beiden Fällen waren Bändchenmikrofone keine Option, aber das Deaktivieren der Spot Mics führte hier zu besseren Ergebnissen. Audio Modeling denkt darüber nach, verschiedene Mikrofonmodelle anzubieten. Zum Testzeitpunkt war eine Auswahl nicht möglich.
In diesem Test waren die Unterschiede nicht so deutlich wie bei Blech- und Holzbläsern. Man hört jedoch, dass die Phrasierung von SWAM am musikalischsten und artikuliertesten ist. Die gesampelte con sordino Option gefiel auch durch den authentischen Klang im realen großen Raum, war aber weniger artikuliert. Ich habe noch nicht genug mit der Mischung von SWAM-Streichern mit anderen Libraries experimentiert, könnte mir aber vorstellen, mit den SWAM-Streichern zu beginnen und sie dann mit spezifischen Libraries wie Orchester Con Sordino oder vielleicht Barockinstrumenten zu ergänzen, um den idealen Kompromiss zwischen spezifischem Ausdruck und Klang zu finden.
Ich habe noch nicht genug mit der Mischung von SWAM-Streichern mit anderen Libraries experimentiert, könnte mir aber vorstellen, mit den SWAM-Streichern zu beginnen und sie dann mit spezifischen Libraries wie Orchester Con Sordino oder vielleicht Barockinstrumenten zu ergänzen, um den idealen Kompromiss zwischen spezifischem Ausdruck und Klang zu finden.
Praxis
Viele Sample-Libraries ermöglichen die Steuerung einiger Elemente des Klangs. SWAM schärft das Bild. Mit SWAM kann alles ständig im Fluss sein und jeder Aspekt jederzeit direkt kontrolliert werden. In einem der Tutorials von Audio Modeling wird empfohlen, nie länger als eine Sekunde zu spielen, ohne einen der Parameter zu ändern. So wie kein Trompeter einen hundertprozentig präzisen Luftstrom hat, machen diese kleinen Nuancen die Darbietung persönlicher und verbessern die Phrasierung.
Sample-Bibliotheken bieten den Vorteil einer anderen Spezifität. Sie können das spezifische Cello von 1804 liefern, aufgenommen von Ihrem Lieblingscellisten in einer ungewöhnlichen Umgebung. Samples können einzigartige, sich allmählich entwickelnde Klänge, Ansammlungen von Gesten und längere, detaillierte Texturen bieten. Wir haben hier keine Entweder-oder-Situation, sondern unterschiedliche Stärken die auch kombiniert werden können, wie mein Streicher Beispiel zeigt.
Fazit
SWAM bieten eine beeindruckende Sammlung von Instrumenten. Selbst mit Festplatten voller hochwertigen Sample-Libraries bietet SWAM eine willkommene Ergänzung und manchmal sogar einen neuen Standard, der auf der Bühne genauso relevant ist wie im Studio.
Die Performance klingt mit der SWAM-Engine unterschiedlicher und als mit den meisten Sample-Bibliotheken. Für Jazz, Pop und Partituren greife ich jetzt zuerst zu den SWAM-Blech- und Holzbläsern. Für Blechbläser-Arrangeure ist es ein absolutes Muss, diese auszuprobieren.
Modeling hat gegenüber Samples einen fast unfairen Vorteil. Die höhere Auflösung bei der Phrasierung, die Reaktion auf kleinste Bewegungen und der unabhängige Zugriff auf einzelne Parameter während der Live-Performance möchte ich nicht missen. Die Performance ist einfach spezifischer. Um Musik menschlicher, weniger austauschbar und spritziger zu gestalten, sind die SWAM-Instrumente einen Blick wert. Sie bieten eine einzigartige Perspektive und Spielbarkeit, und insbesondere die Blech- und Holzbläser wirken realistischer als die meisten ihrer gesampelten Gegenstücke.
SWAM-Instrumente gibt es direkt beim Hersteller oder via ILIO und seinen Handelspartnern. Einzelne Instrumente gibt es ab ca. 120 US$/Euro. Es werden verschiedene Bundles angeboten.
Video- und Audiobeispiele: https://s.disco.ac/zwuyaoaqrqss
https://audiomodeling.com/
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