Wenig Gepäck für viel Surround

Andrew Levine hatte in den letzten Jahren mehrfach die Gelegenheit gehabt mit der Charities Philharmonia unter Leitung von Michael Young zu arbeiten. Es handelt sich um ein sehr enthusiastisch musizierendes Symphonieorchester, dass jede Spielzeit zwei Konzerte gibt, deren Erlös an eine wohltätige Initiative fließen.

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Ort der Veranstaltungen ist fast immer die ehemalige Kirche St. John's Smith Square im Zentreum Londons, ein 1728 erbautes Gebäude im Englisch-Barocken-Stil mit einer sehr angenehmen Akustik. Andrew war wie immer daran gelegen, den Mitschnitt so zu gestalten, dass neben Stereo auch ein 5.1-Surround-Mix produziert werden kann. Er berichtete uns über seine interessanten Aktivitäten und unterstreicht, dass man auch mit wenig Aufwand hervorragende Surround-Aufnahmen realisieren lassen. 

Die Vorbereitung

Als Hauptmikrofon hatte Andrew entweder ein AB-Paar (mit 51,5 cm Distanz) oder auch ein ORTF-Paar eingesetzt. Dieses Mal stand mit Mahlers fünften Symphonie ein Werk mit sehr großer Besetzung auf dem Programm, so dass er sich für ein AB-Paar nahe dem weit in die Tiefe angeordneten Orchester entschied. Zum Einsatz kamen hier zwei Earthworks QTC-50.

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Zusätzlich hatte er immer ein Paar DPA 4060 als Ambient Outrigger im nicht dem Publikum zugänglichen oberen Rang des Saals angebracht. Beim ersten Konzert als Grenzflächen an den von dem Orchester abgewandten Seiten der das Orchester flankierenden Säulen, dann aber oberhalb eines im vorderen Drittel das Saals gelegenen Durchgangs.

Im ersten Konzert war das Klangbild dieser Mikrofone zu direkt, möglicherweise auf Grund der Reflektionen von den nahen seitlichen Wänden. Diese Spuren wurden mit AltiVerb verhallt. Die optimierte Positionierung der Ambient Outrigger bei den folgenden Aufnahmen machte das unnötig.

Von Anfang an setze Andrew auch zwei den Dirigenten flankierenden, seitlich und 30 bis 45 Grad abwärts ausgerichtete Bändchen, die RoyerLabs SF-1 ein. Dadurch liessen sich die ersten sowie das erste Pult der zweiten Violinen und die Celli etwas in der Mischung anheben. An zusätzliche Stützen kamen dieses Mal das UM-1 (der Prototyp eines Großmembran-Mikrofons mit umschaltbarer Richtcharakteristik von United Monirities) in Achterer-Charakteristik vor den Holzbläsern sowie ein Elation KM-201 mit Omni-Kapsel vor dem Steg des ersten Kontrabasses zum Einsatz. Als Mikrofon-Vorverstärker und A/D-Wandler war die ULN-8 von Metric Halo im Einsatz. Abgehört wurde mit einem Ultrasone PROline 750.

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Da Andrew mittlerweile ständig drei Mikrofonstative und mehrere Mikrofonkabel in London deponiert hat, hielt sich sein Gepäck in Grenzen: eine Tasche mit allen Mikrofonen und dem Laptop sowie ein großer Rucksack mit der ULN-8, der AB-Schiene und einem Bodenstativ, zusätzlichen Mikrofonkabeln, dem Adapter für die englischen Steckdosen und allen Mikrofonspinnen. Das Fliegen mit einer Budget-Linie empfielt sich laut Ausage Andrews trotzdem nicht ...

Setup

"Ich reise prinzipiell einen Tag vor großen Aufnahmen an. So kam ich Freitag Nachmittag nach London und konnte am Abend noch einmal alles Equipment abzählen und in Ruhe die Konfiguration für die MIO-Console anlegen. Am Samstag begann um 11 Uhr, drei Stunden vor der Generalprobe, der Aufbau in St. John's.", so Andrew zum Aufbau.

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Weiter zum Setup: "Die Stühle waren noch nicht aufgestellt, aber in Vorbereitung darauf konfigurierte ich die vier Stative (2 x Standard, 1 x mit Angel und ein Bodenstativ) samt Mikrofonspinnen und begab mich dann in den oberen Rang. Abhängen ist immer aufwendiger als Stative zu plazieren, und die Konfiguration ist generell nicht leicht auf sich verändernde Bedingungen anzupassen, aber in dieser wie vielen anderen Konzerträumen Plflicht für alles, was nicht auf der Bühne bzw. bei den Musikern plaziert ist.

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Das Podium für den Dirigenten war aufgebaut und die Bestuhlung für das Orchester begann. Ohne einen Assistenten plant man besser die Wege sehr gut. Ich ließ zuerst auf der dem Aufgang gegenüber gelegenen Seite einen Nylonfaden herab und plazierte das rechte Ambience-Mikrofon. Dann ging ich zur anderen Seite und befestigte das Drahtseil für das Hauptmikrofon sowie das spezielle Mikrofonkabel für das DPA 4060. Ein freundlicher Helfer knotete erst die eine, dann die andere Strippe an den Nylonfaden, so dass ich die rechte Seite schnell fertig stellen konnte: eine Aufhängung für das AB-Paar sowie die Zuführung für den rechten Ambience-Kanal. Den Nylonfaden hängte ich dann an die AB-Stange.

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Als nächstes brachte ich die beiden Earthworks-Mikrofone sowie die linke Ambience-Kapsel an und legte die vier XLR-Kabel hinunter zu meinem Plaz, hinter einer Säule links vom Orchester. Jetzt hieß es, das Interface anstellen und diese ersten - und wichtigsten - vier Mikrofone austesten. Es ist entscheidend jeden Kanal abzuhören, möglichst sobald das Mikrofon angeschlossen ist. Den AB-Wagen konnte ich mit dem Nylonfaden positionieren und nach dem Spannen des Mikrofon-Kabels dann auf der gegenüberliegenden Seite fixieren.

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Alles war gut, und die Bestuhlung für die Streicher fertiggestellt, so dass ich jetzt die flankierenden Mikrofone, zwei jeweils links und rechts vom Dirigenten schräg nach unten auf die Instrumentengruppen ausgerichteten Bändchen aufstellen konnte. Beim Testen der Kanäle hatte ich nur Rauschen auf einem der beiden Eingänge. Das kann am Mikrofon, dem Mikrofonkabel, der db-25 Schlange zur ULN-8, dem Eingang oder auch potentiell an einem Konfigurationsproblem liegen. Umstöpseln zu einem anderen Eingang verschob das Rauschen, d.h. es blieben nur noch die beiden ersten Optionen offen. Erfreulicherweise löste ein Kabeltausch das Problem. Selbst mit minimalem Gepäck sollte man auf eine gewisse Redunzanzen nicht verzichten.

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Jetzt fehlten nur noch die beiden Spots für Holzbläser und einen der Kontrabässe. Die waren schnell aufgestellt und geprüft, und dann hieß es nur noch auf die restlichen Musiker zu warten.

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Im Fall von diesem Konzert war das Orchester dadurch, dass die Streicher auf dem Boden und nicht, wie früher auf einer Verlängerung der Bühne saßen mehr in der Vertikalen und weit in die Tiefe aufgestellt. Das Hauptmikrofon war über dem hinteren Rand des Dirigentenpodests und höher als sonst für mich üblich angebracht; etwa auf einer Höhe mit dem Schlagzeug und den Pauken auf der obersten Stufe. Das Problem damit ist die reduzierte Tiefenstaffelung, aber da das große Ensemble in der Vertikalen nicht ausreichend kompakt aufgestellt war erschien mir das als ein tragbarer Kompromiss.

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Im Nachhinein wäre ich vielleicht einen halben bis einen Meter heruntergegangen, aber wie oben schon gesagt ist eine solche Änderung bei abgehängten Konfigurationen nicht einfach - und der Dirigent hatte mich gebeten, die komplette Generalprobe mitzuschneiden, um potentiell Material für Korrekturen zu haben. Erfreulicherweise erscheint mir bei der Prüfung in meinem Studio die Tiefenstaffelung adäquat. Die Anzahl der Streicher hätte gerne noch etwas größer sein können. Holz- und Blechbläser sowie das ganz hinten aufgestellte Schlagwerk und die Pauken klingen korrekt, und selbst das Triangel kommt gut.", so weit Andrew zu seinem Technikaufbau.

Die Probe

Das Orchester war um 14 Uhr komplett und Andrew konnte beim Trubel vor dem Durchstimmen schon einmal alle Pegel ansatzweise einstellen. Die Verpflichtung, die gesamte Probe, beginnend mit Insel der Toten von Rachmaninov, optimal zu konservieren, beeinflusst natürlich, in welchem Maße man Änderungen bei der Mischung ausführt. Andrew hatte einen Monitormix auf einem Aux-Weg angelegt, so dass er etwaige Modifikationen gründlich prüfen konnte, bevor er die Balance für den (neben den acht Einzelnspuren) aufgezeichneten Stereo-Mix veränderte. Zum Glück waren nur ganz zu Anfang und auch nur wenige und kleine Änderungen bei Gain und Pan notwendig.

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Zu den Aufnahmen sagte Andrew: "Die Laufzeiten zwischen Mikrofonen schätzte ich zu Anfang für die Delays im Live-Mix, da die Plazierung der Mikrofone noch nicht finalisiert war, was sich in der Mitte der Probe bewährte. Dann entschied der Dirigent alle Holzbläser von rechts nach links und die Trompeten von links nach rechts zu verschieben - eine sinnvolle Maßnahme. So viel zu dem Plan einer lückenlosen, uneingeschränkt nutzbaren "Flickensammlung".

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Eine weitere Überraschung war die Aufstellung einer Hornistin links vor dem Orchester für den dritten Satz von Mahler fünften Symphonie. Es klang sehr gut, aber eine Folge war, daß die ersten Violinen etwas zur Seite und nach hinten rückten, und ich die Plazierung des entsprechenden Mikrofons korrigiern mußte. Aber it's live und the show must go on ...

Im Anschluß an die Generalprobe markierte ich jede Mikrofonposition mit Tape und maß dann alle Delays mit zwei Klanghölzern. So entstand der Live Mix vom Konzert unter optimierten Bedingungen."

Interludium

An Effekten nutzte Andrew außer den Sample-Delays nur einen Hochpass auf den Ambience-Mikrofonen und dem Holzbläser-Spot, ein wenig 2-D-Character (Valve auf den Ambience-Mikrofonen und Transformer auf der Summe) sowie einen finalen Limiter (+4.5 dB und Cutoff bei -0.3 dB FS) eingesetzt.

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Dazu Andrew: "Bei einem kleinen Spaziergang vor dem Konzert hatte ich die Gelegenheit, meine Einstellungen zu überdenken. Den Limiter korrigierte ich auf eine Anhebung von +3 dB weil Ensembles meist beim Konzert doch noch etwas mehr geben, und ich schaltete den Hochpass auf dem Holzbläser-Spot aus. Der Frequenzgang einer Großmembran-Acht fällt sowieso relativ schnell ab und ich hatte das Mikrofon auch nach unten auf die Mitte der Holzbläser geneigt, so daß das Blech und die Percussion eher in Richtung der vertikalen Null-Grad-Achse lagen.

Als letztes auf meiner To-Do-Liste: das mittlerweile aus zwei übereinander gestapelten Podesten bestehende Dirigenten-Podium inspizieren. Und tatsächlich finden sich da zwei Rollen für den Transport, die ich an einer Stelle habe sich bewegen hören. Etwas Tape stellt sie ruhig."

Das Konzert

"Beim Stimmen des Orchesters hebe ich den Pegel der Holzbläser-Stütze in der Mischung ein wenig an. Der korrekte Delay hat eine bessere Einbettung des Klangs dieser Sektion bewirkt und ich kann ihre Präsenz fast unmerklich verbessern. Ich entscheide mich, das Konzert in 88,2-kHz-Abtastrate mitzuschneiden. Für die Probe hatte ich 44,1 kHz verwendet, aber nachdem ich die Einzeltracks auf eine externe Festplatte ausgelagert habe ist ausreichend Platz - man weiß ja nie.

Eine Überraschung gab es noch: so konnte ich vor dem Rachmaninov ein ganz leises, vorher nicht von mir bemerktes Summen hören. Ich stieg in der anschließenden Pause hoch zum ersten Rang und dort stand die Tür vom Treppenhaus, wo die Heizungsanlage untergebracht ist, in den Konzertsaal offen. Außerdem war direkt neben meinem linken Ambience-Mikrofon eine Videokamera aufgestellt. Zum Glück war es kein Problem für den Fotografen, sich an einem weiter entfernten Ort zu plazieren, aber ich muß die Spur trotzdem auf Nebengeräusche prüfen.

Das Konzert lief gut. Die Leistung des Orchesters hätte sich mit mehr als den beiden Tutti-Proben für solch ein komplexes Repoertoire mit Sicherheit erheblich steigern lassen, und es gab leider auch eine ganze Reihe von kurzfristigen Ausfällen, vor allem bei den Streichern, aber die Logistik der Arbeit mit einem flexiblen, großen Ensemble von professionellen Musikern, die sich zwei mal im Jahr für ein wohltätiges Projekt zusammenfinden ist nicht trivial. In jedem Fall hat die Charities Philharmonia wieder einmal von mir eine qualitativ hochwertige Aufnahme erhalten, und ich habe mein Wochenende in London sehr genossen." Soweit Andrew mit seinem interessanten Bericht.

Biografie Andrew Levine

andrew

Andrew Levine wurde 1968 in New York geboren. Als Sohn eines Trompeters kam er früh zur Musik, spielte Geige und sang, schlug aber zunächst eine wissenschaftlich technische Laufbahn ein. In Trier erwarb er seinen Magister in den Bereichen Computerlinguistik und Kognitive Psychologie. 1995 zog er nach Berlin, wo er im Bereich der Erwachsenenbildung als Dozent für Software-Entwicklung und digitale Medien lehrte, CD-ROMs entwickelte, sowie diverse Videoprojekte, vor allem im Bereich der Arbeit mit Kindern, drehte und schnitt.

Allmählich rückte die Beschäftigung mit dem Klang in den Mittelpunkt von seiner Arbeit. 2002 begann Andrew Levine sein autodidaktisches Studium der Theorie von Tonaufzeichnungen. Er arbeitete und experimentierte viel mit diversen Instrumenten und Ensembles. Von 2003 an widmete er sich ganz dem Ton. 2004 gründete Andrew Levine die sonophile Edition blumlein records. Im folgenden Jahr wurde er in den Verband Deutscher Tonmeister aufgenommen und zog mit seiner Familie und auch dem eher unbeweglichen Teil seines mobilen Studios nach Hamburg.

Mehr Informationen über Adrews Recording Service und sein Label blumlein records unter: