Shure Atmosphea

Autor: Peter Kaminski
Fotos: Archiv

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Shure stellte Ende 2012 in der Europazentrale in Eppingen auf einem Pressetermin das neue Beschallungssystem Atmosphea vor, welches in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IDMT entstanden ist. Atmosphea ist ein System, welches vielfältige Aufgaben erledigen kann und zwar so vielseitig, dass wir hier in diesem Beitrag lediglich ein paar Ideen zur Anwendung des Systems aufzeigen können. Bevor wir aber auf das System als solches eingehen, kurz etwas zu den technischen Grundlagen.

Wellenfeldsynthese

Als Basistechnik des Atmosphea kommt die Wellenfeldsynthese zum Einsatz. Die Wellenfeldsynthese basiert auf dem Prinzip des niederländischen Physikers, Mathematikers und Astronom Huygens. Für seine astronomischen Beobachtungen beschäftigte er sich auch mit dem Licht und entwickelte die Wellentheorie des Lichtes und daraus auch das nach ihm benannte Huygenssche Prinzip, was besagt, dass jeder Punkt einer Wellenfront als Ausgangspunkt einer neuen Welle betrachtet werden kann. Man spricht bei diesen Wellen auch von einer Elementarwellen. Oder umgekehrt ausgedrückt: eine Wellenfront kann als eine Überlagerung von Elementarwellen verstanden werden.

Das Prinzip gilt gleichermaßen für alle Wellen, also nicht nur für Licht- sondern auch für Schallwellen und genau auf dieser Grundlage basiert die Wellenfeldsynthese. Eine resultierende Wellenfront im Raum wird hier durch eine Anzahl von einzelnen Schallquellen gebildet - und zwar einem Lautsprecher-Array. Das Lautsprecher-Array, muss dabei nicht an der Stelle angeordnet sein, wo der Schalleindruck vom Hörer im Raum wahrgenommen wird. Über eine Berechnung werden den Lautsprecher entsprechende Signale zugeführt, mit dem Ziel, eine dem Originalsignal identische Wellenfront zu erzeugen.

Das klingt zunächst einfacher als es dann in der Tat ist. In der Praxis hat ein solches System natürlich auch Grenzen, was z. B. Auflösung und Ortbarkeit angeht. Positionierung und Anzahl der Lautsprecher sind hierfür verantwortlich. Zudem entstehen auch Artefakte, die eben im System so klein wie möglich zu halten sind.

Anwendungsmöglichkeiten

Bevor wir auf die technische Realisierung des System zu sprechen kommen, hier zunächst einmal ein Überblick über die Anwendungsmöglichkeiten von Atmosphea. Prinzipiell sind drei folgende grundsätzliche Varianten der Anwendung denkbar.

Veränderung der Nachhallzeit

In vielen Konferenzräumen ist die Akustik auf die Sprachverständlichkeit optimiert. Viele akustische Absorptionselemente sorgen für eine kurze Nachhallzeit. Zudem begrenzt natürlich auch die Raumgröße die Nachhallzeit. Mit Atmosphea lässt sich diese in einem Raum künstlich verlängern. Dazu befinden sich im Raum an der Decke Mikrofone und an der Decke und in den Wänden Lautsprecher. Der Schall wird nun aufgenommen, verrechnet und durch Zuspielung von entsprechenden Signalkomponenten wird die Nachhallzeit für den Hörer erhöht.

Surround-Beschallung ohne Sweetspot

Ein zweiter Punkt ist das Zuspielen von Surround-Material. Eigentlich nichts Spektakuläres aber bei der Zuspielung über nur wenige Lautsprecher ist der Sweetspot, also der Bereich bei dem optimale Wiedergabe gewährleistet ist, relativ klein. Anders wenn man z. B. die Signale einer 5.1 oder 7.1-Produktion verrechnet und über ein Array mit vielen Lautsprechern wiedergibt, wobei das Signal jeden Lautsprechers einzeln berechnet wird. Bei einer gleichförmigen Lautsprecheranordnung gibt der Abstand zu der einzelnen Lautsprechern die Größe des Sweetspots vor. In der Praxis ist der Sweetspot bei Atmosphea so groß wie der Raum. Lediglich ein minimale Hörabstand zu den Lautsprechern selbst ist eine Grenze und der ist ungefähr so groß wie der Abstand der Lautsprecher untereinander. Anwendungen sind von Musikbeschallung bis hin zu Anwendungen in Museen etc. denkbar. Ein Prinzip bedingter, positiver Nebeneffekt der Nutzung von vielen Lautsprecher ist, dass auch das Feedback-Risiko genmindert wird.

Positionierung von Schallquellen im Raum

Eine weitere Möglichkeit ist eine Schallquelle im Raum beliebig zu platzieren, so wie wir das eingangs mit der Wellenfeldsynthese beschrieben haben. Natürlich geht das auch mit mehreren Schallquellen. Die Begrenzung ist hier durch die Anzahl der maximalen Eingangssignale und durch die Leistung des Signalprozessors begrenzt. Die Schallquellen lassen sich auch dynamisch bewegen. Interessant ist auch, dass die virtuelle Schallquelle auch außerhalb des Raumes positioniert werden kann. Das System erlaubt die Umschaltung zwischen Punktschallquelle und ebene Klangquelle. Letztere eignet sich für die Ortung entfernterer Schallquellen. Anwendungen sind hier vielseitig. Ein der Sprecher, der sich im Raum bewegt, lässt sich z. B. akustisch quasi immer nachführen. Applikationen sind hier sowohl in der Konferenztechnik, im Theaterbereich, als auch für Präsentationen, Events und für Anwendungen in Museen etc., denkbar. 

Systemrealisierung mit Q-Sys

QSysGroupStack

Das System wird aus Komponenten von Shure, QSC und dem Fraunhofer IDMT gebildet. Anzumerken ist noch, dass Shure der Deutschlandvertrieb von QSC ist. Basis ist das Q-Sys-System von QSC - ein vernetztes Audiosystem mit DSP-Funktionalität - mit einem eigenem, IP-basierendem Netzwerkprotokoll (Q-LAN). Obwohl das System DSP-Funktionalität bietet, ähnelt es eigentlich mehr einem Serversystem mit Audio-Processing. Die Entwicklung des Atmosphea erfolgte in enger Abstimmung mit QSC. So ist ab der Version 2.1 das Q-Sys auch Atmosphea-kompatibel.

Ein Standard-Core mit entsprechenden I/O-Frames bildet die Hardware-Zentrale. Mit einem Core ist ein Ausbau auf bis zu 512 Ein- und Ausgangskanäle möglich. Sowohl das Netzwerk als auch das Core lässt sich redundant aufbauen. In der Realität gibt es auch schon Q-Sys-Systeme, die voll redundant ausgebaut wurden. Ein wichtiger Punkt ist auch noch die integrale Firmware. Das bedeutet, dass bei einem Firmeware-Update, die Updates der angeschlossenen Einzelkomponenten ebenfalls eingebettet sind und bei Verfügbarkeit im System ebenfalls automatisch aktualisiert werden.

Die Realisierung des Atmosphea erfolgt über einen Steuerrechner, der dem Q-Sys Core Befehle übermittelt. Die Software auf dem Steuerrechner ist von Fraunhofer IDMT entwickelt worden und parametrisiert den Core entsprechend den Anforderungen dynamisch. Das Q-Sys Core führt diese Befehle aus und routet die individuell bearbeiteten Eingangssignale auf die Ausgänge der angeschlossenen Verstärker, die die Lautsprecher versorgen. Bis zu 2.000 Befehle können pro Sekunde vom Q-Sys Core abgearbeitet werden. Dies garantiert auch die Bewältigung schneller dynamischer Veränderungen.

Schallwandler

Für den Einsatz mit dem Atmosphea eignen sich bestimmte Komponenten. So werden zur Aufnahme des Schalls Shure KSM 137 (Nierenrichtcharakteristik) eingesetzt.

ADS82

Für die Wandlautsprecher kommen QSC AD-S82H zum Einsatz. Es handelt sich um kompakte Zweiwege-Boxen mit Bassreflexöffnung, die in den Farben Schwarz und Weiß erhältlich sind. Da sich das Hochtonhorn (90 x 60 Grad) drehen lässt, können sie auch liegend betrieben werden und auf Grund der Größe lassen sie sich auch gut in Wände integrieren. Es stehen aber auch ggf. andere Alternativen im QSC-Programm für den Einsatz mit Atmosphea bereit.  

ADCI52ST

Als Deckenlautsprecher sind AD-CI52ST vorgesehen. Klanglich sind AD-S81H und Wandlautsprecher AD-CI52ST aufeinander abgestimmt. Die Zweiwegesysteme AD-CI52ST sind in einem Stahlgehäuse verbaut und mit einer Blende aus Polystyrol versehen. Der Basskanal ist mit einem 5,25"-Lautsprecher sowie einer 1"-Hochtonkalotte bestückt und bietet trotz seiner sehr flachen Bauweise ausreichendes Klangvolumen. Auch in sehr flachen Decken, wo Lüftungsanlagen eingebaut sind, lässt er sich noch einsetzen.

Verstärker

CX254

Als Verstärker kommt die Q-Sys-kompatible CX-Serie von QSC zum Einsatz. Diese gibt es in bis zu achtkanaliger Ausführung. Interessant ist, dass die Verstärker über einen sogenannten Dataport verfügen und in Verbindung mit der Havarie-Umschaltbox DAB-8091 die Verstärker als auch redundant betrieben werden können. Am Signaleingang erfolgt eine Umschaltung per Halbleiter und Ausgangsseitig über Lastreleais. Es werden alle wichtigen Verstärkerparameter wie Spannung, Strom, Impedanz, Übersteuerung, Temperatur usw. überwacht. Bei einem Ausfall oder einem Problem einer Komponente erfolgt die Aktivierung der vorgesehenen Redundanz automatisch. Durch die Verlinkung von zwei DAB-801 können bis zu 16 Audioeingänge auf einen Verstärker havariert werden.

Demoraum

Multifunktionsraum

In einem Multifunktionssaal bei Shure (s. Foto oben) ist ein umfangreiches Atmosphea-System fest installiert und steht so auch für Demonstrationszwecke zur Verfügung. Die ganze Europazentrale in Eppingen ist mit einem Q-Sys-System vernetzt. Der Multifunktionssaal ist dort mit integriert. Das Atmosphea arbeitet aber autark vom restlichen Q-Sys-System und wird von dem Kontrollrechner des Fraunhofer IDMT gesteuert. Es verlassen keine Audiodaten den Q-Sys-Sektor im Saal. Man erreicht dadurch eine sehr kurze Latenzzeit, die unter 2,5 Millisekunden liegt.  

ADS82 Wandeinbau

In einer ersten Ausbaustufe wurde 32 Surround-Lautsprecher in den Wänden verbaut. Mittlerweile wurden 60 QSC AD-S82H Lautsprecher in einem umlaufendem Ring in den Wänden integriert (s. Foto oben). Der Abstand zwischen den Lautsprechern beträgt 75 cm. Über die große Anzahl der Lautsprecher ist es nun auch möglich, bewusst eine Auswirkung auf den Klang, durch eine Reduzierung von Lautsprechern im A/B-Vergleich zu demonstrieren und so ein System schon im Vorfeld der Planung zu optimieren. In der Decke des Saals befinden sich noch 32 Stück QSC AD-CI52ST.

Maschienenraum

32 Eingangssignale werden auf die Lautsprecher verteilt. Verstärker, Havarie-Überwachung und Core befinden sich in einem Technikraum hinter der Bühne (s. Foto oben).

Fazit

Der klangliche Eindruck, den das Atmosphea hinterlassen hat, ist schon beeindruckend. Das Potential ist allerding sicherlich noch nicht ausgeschöpft. Bei dem Atmosphea-System dürften viele Applikationen erst durch individuelle und spezifische Kundenanforderungen entstehen. So sind beim Atmosphea auch umlaufende Lautsprecherringe in unterschiedlichen Höhen machbar, um auch die Höhe und nicht nur die Richtung einer Schallquelle repräsentieren zu können. Also 3D-Sound in seiner eigentlichen Form. Des Weiteren sind auch Installationen in kubischen, zylindrischen oder Kuppelbauten umsetzbar und so ist der  Einsatz vom Konzertsaal bis zum Planetarium oder Industriegebäude realisierbar.

www.shure.de
www.qsc.com