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Praxisvergleich von analogen und digitalen Mikrofonen beim NDR-Hörfunk

Bericht über eine Diplomarbeit von Frank Albiker

Text und Fotos: Peter Kaminski

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Frank Albiker führte Ende 2010 für seine Diplomarbeit im Studiengang Ton- und Bildtechnik der FH Düsseldorf/Robert Schumann Hochschule in Kooperation mit dem NDR Hörfunk in Hamburg Aufnahmen für einen Hörvergleich zwischen analogen und digitalen Mikrofonen durch. Wir möchten an dieser Stelle über die Durchführung und die Ergebnisse der Diplomarbeit berichten.

Wer sich über die Technik der digitalen Mikrofone mit AES42-Schnittstelle informieren möchte, dem empfehlen wir unseren Beitrag Technik Digitalmikrofone mit AES42-Interface zu lesen, der neben der Vermittlung von Grundlagen auch die verfügbaren Produkte und Systeme aufzeigt. 

Einsatz von Digitalmikrofonen beim NDR

Beim NDR-Fernsehen kommen seit 2008 digitale Mikrofone in den Synchronstudios sowie in den Redaktionsschneideräumen zum Einsatz. Besonders die Aussteuerungssicherheit durch die komplette Abbildung des gesamten Dynamikbereichs ohne Pegelnachregelung und den bei den eingesetzten Mikrofonen integrierten Limiter haben die Toningenieure schätzen gelernt.

Beim NDR-Hörfunk wurden bisher im Regelbetrieb noch keine digitalen Mikrofone eingesetzt aber das Interesse an der Technik ist groß und über die Diplomarbeit erhoffte man sich mehr Erfahrung und auch eine Beurteilung über einen möglichen Einsatz dieser Technik zu bekommen.

Erwartungshaltung

Die Erwartungshaltung bei den Toningenieuren des NDR-Hörfunks ist offen, aber signifikante Vorteile der Digitalmikrofone werden doch skeptisch eingeschätzt. So ist die einfache Handhabung natürlich ein sehr wichtiges Kriterium im Betrieb und ein Wechsel zwischen Mischpultoberfläche und PC-Bildschirm wird, auch wegen der möglicherweise entstehenden Unübersichtlichkeit, als nicht praxisgerecht eingeschätzt. Als weiterer problematischer Punkt werden Latenzen, besonders im Mischbetrieb mit analogen Mikrofonen, angesehen. Aber natürlich sind auch die Vorteile präsent, wie eben die schon erwähnte einfachere Aussteuerbarkeit und auch die Störunanfälligkeit gegenüber Einstreuungen und die Fernsteuerbarkeit der Mikrofone.

Im Bereich der U-Musik kommt noch ein weiteres Kriterium hinzu und zwar der Einsatz bestimmter Mikrofonmodelle und Mikrofonvorverstärker als klangliches Gestaltungsmittel, wie z. B. bestimmte Röhrenmikrofone oder Preamps. Diese sind aber nicht als AES42-Mikrofone verfügbar, was ja auch technisch wenig Sinn machen würde, da eben die Wandlung hier nach dem Vorverstärker erfolgen würde und so der positive Punkt der guten Aussteuerbarkeit auch nicht mehr gegeben wäre.

Elbphilharmonie - neuer Konzertsaal für den NDR

Ein großes Projekt für die Zukunft des NDR stellt die Elbphilharmonie dar. Das NDR-Sinfonieorchester wird dort als Residenzorchester agieren und hier baut der NDR eigene Tonregie und ein Audionetzwerk auf. Für die Planung stellt sich auch hier die Frage nach dem Einsatz von Digitalmikrofonen. So war es denn auch ein Hauptziel der Diplomarbeit, hier zur Entscheidungsfindung beizutragen.

Vorausgegangene Tests

Schon vor der Diplomarbeit von Frank Albiker hatte der NDR in der Hamburger Laeiszhalle mit dem NDR-Sinfonieorchester und Mikrofonen von Sennheiser und Neumann Testaufnahmen durchgeführt. Hier zeigte sich, dass Standardmikrofonkabel unter den Gegebenheiten in der Laeiszhalle nicht geeignet waren und hier unbedingt das für die AES42 vorgesehene Kabel mit dem vorgeschriebenen Wellenwiderstand einzusetzen war. Die Kabelwege waren auf Grund von eingesetzten Kabeltrommeln sehr lang. Zudem kamen auch viele Verbinder zum Einsatz, so dass sich auch viele Stoßstellen ergaben. Die kurzen Mikrofonkabel im Bühnenbereich funktionierten aber einwandfrei. Das noch als Anmerkung zum Thema Kabel. 

Weiter wurden in der Hamburger Staatsoper bei einer Opernaufnahme auch noch Versuche mit dem SuperCMIT digitalem Richtrohrmikrofon durchgeführt. 

Vergleichstest beim Hörfunk

Ende 2010 führte Frank Albiker dann im Rolf-Liebermann Studio des NDR-Hörfunks mehrere Aufnahmen durch. Als AES42-Interface wurde das achtkanalige RME DMC-842 eingesetzt. Als Vorverstärker und A/D-Wandler für die analogen Mikrofone entschied man sich für den Einsatz des RME Micstasy. 

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Das Foto (oben) zeigt die Regie des Studio 10 mit der Lawo mc82, über die abgehört wurde. Aufgenommen wurden mit einem Sequoia-System auf einem PC neben dem Pult.

Als Mikrofone wurden Neumann KM- und KM-D-Serie, die Sennheiser MKH 8000-Serie mit analogen und digitalen Speiseteil (MZD 8000) sowie Schoeps MK 2S und MK 22 mit analogen und digitalen (CMD2U) Speiseteil sowie noch ein Neumann TLM 103D eingesetzt. Es wurden zwei Aufnahme-Sessions durchgeführt und zwar eine mit Orchester und eine mit Flügel.   

Aufnahmen mit Orchester

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Hier baut Frank Albiker gerade die Mikrofone für den Test mit dem Orchester auf (Foto oben). Rechts sind die die beiden AES42-Interfaces DMC-842, welche von RME bereitgestellt wurden, und darunter die beiden Micstasy Preamps/Wandler von RME aufgebaut. Man sieht, dass man die Kabellängen bewusst kurz gehalten hat.

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Hier (Foto oberhalb) eine der beiden Mikrofonschienen für das Hauptmikrofon. Aufgebaut wurden von links nach rechts: Neumann KM 130, Neumann KM 183D Sennheiser MZD 8000 + MKHC 8020 (Digital), Sennheiser MKH 8020, Schoeps MK 2S + CMD2U (digital, oben), Schoeps MK 2S (analog, unten).

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Auch für die Stützmikrofone wurden drei Vergleichs-Sets aufgebaut und zwar für erste Violine, Celli, Oboen und für Kontrabass ein TLM 103D. Im Bild (oberhalb) sieht man die Stütze für die ersten Violinen.

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Hier von links nach rechts: Sennheiser MKH 8040, Sennheiser MZD 8000 + MKHC 8040, Schoeps MK 22 + CMD2U (digital, oben), Schoeps MK 22 (analog, unten), Neumann KM 143D (digital), Neumann KM 143 (analog).

Aufnahmen mit Flügel

Bei den Flügelaufnahmen spielte Gints Racenis am Flügel. Hier wurden einmal ein Hauptmikrofon und ein Set direkt am Flügel aufgebaut.

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Das Hauptmikrofon war wie bei den Orchesteraufnahmen und das Spot-Mikrofon war wie folgt bestückt (von links nach rechts): Neumann KM 143D, Neumann KM 143 (analog), Sennheiser MZD 8000 + MKHC 8040, Sennheiser MKH 8040, Schoeps MK 22 + CMD2U (digital, oben), Schoeps MK 22 (analog, unten).

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Hörvergleich mit NDR-Mitarbeitern

Nach den Aufnahmen fanden die Hörversuche als Blindtest in einem NDR-Studio statt. Auf Grund der Menge an Aufnahmen wurden einige ausgewählte Aufnahmen den insgesamt 16 Testhörern, überwiegend Tonmeister und  Toningenieure aus der Abteilung Produktions- und Sendetechnik des NDR, vorgespielt. Dabei konnten die Probanten selbst zwischen den analogen und digitalen Mikrofonen via Spuranwahl umschalten, wussten dabei aber nicht, um welche Mikrofone es sich handelt und auch nicht ob es analoge oder digitale waren.

Hervorzuheben ist hier noch, dass es sich bei dem Vergleich nicht um ein Produktvergleich zwischen Herstellern oder Mikrofonmodellen handelte, sondern es ging um den Vergleich zwischen analogen und digitalen Mikrofonen im Allgemeinen. Die subjektiven Meinungen der Probanten wurden in einem Fragebogen festgehalten und dann später ausgewertet. Auch zu betonen ist, dass der Hörvergleich auf Grund der Anzahl der Probanten und der Abhör- und Beurteilungsmethoden zwar Tendenzen aufzeigen, aber einen Blindtest nach einem Standardverfahren, wie nach ITU (-R BS 1116/1534), nicht ersetzen kann. 

Ein wichtiger Aspekt ist natürlich, dass bei den analogen Mikrofonen auch die Klangeigenschaften des zum Einsatz gekommenen Preamps und A/D-Wandlers eingehen. Daher ist ein absoluter Vergleich zwischen analogen und digitalen Mikrofonen unmöglich.

"Zusammenfassend kann man sagen, dass sich anhand der notierten Meinungen und Anzahl der positiven Bewertungen eine klare Tendenz zu den digitalen Mikrofonen ableiten lässt", so Frank Albiker in seiner Diplomarbeit. Weiter wurde festgestellt, dass der Klangunterschied zwischen den analogen und digitalen Sennheiser-Mikrofonen kaum wahrnehmbar war.

Interview Frank Albiker

Frank Albiker, Jahrgang 1980, schloss mit seiner Diplomarbeit über die Praxistauglichkeit digitaler Mikrofone beim NDR Hörfunk gerade sein Studium zum Ton- und Bildingenieur an der Robert Schumann Hochschule/Fachhochschule Düsseldorf erfolgreich ab. Vorangegangen war ein abgeschlossenes Musikstudium mit Hauptfach Schlagzeug an der Musikhochschule Lübeck. Während des Studiums arbeitete er als Schlagzeuger im Bereich klassischer und populärer Musik, sowie als freier Tontechniker und Tonmeister für die Tonhalle Düsseldorf und im Studio- und Außenübertragungs-Betrieb beim ZDF und NDR Hörfunk.

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proaudio: Sind digitale Mikrofone nun besser als analoge, traditionelle Mikrofone?

F. Albiker: Diese Frage lässt sich so pauschal nicht beantworten. Da in den allermeisten Produktionen Mikrofonsignale im Laufe der Bearbeitungskette analog/digital gewandelt werden, ist es schlicht als zeitgemäß zu bewerten, die A/D-Wandlung so früh wie möglich vorzunehmen. Das Signal ist so bereits am Beginn der Kette resistent gegen Störungen und durch den Wegfall eines Mikrofon-Vorverstärkers entfällt zudem eine Rauschquelle. In bestimmten Produktionsumgebungen kann jedoch ein Preamp ganz bewusst zur Klangfärbung noch vor der A/D-Wandlung eingesetzt werden; hier wäre ein digitales Mikrofon also weniger gewünscht. Die Features, die die DSP-Technik digitaler Mikrofone ermöglicht, sind ebenfalls nur in Abhängigkeit der Situation als Vorteil zu bewerten. Hervorzuheben ist aber, dass durch eine optimale Anpassung des A/D-Wandlers an die Mikrofonkapsel ein stets einwandfrei A/D-gewandeltes Signal vorliegt. Über- oder Untersteuerungen können so vermieden werden.

proaudio.de: Und wie sieht es mit den Kosten aus? Spielt dieser Faktor eine Rolle?

F. Albiker: Auch bei den Kosten muss die jeweilige Situation betrachtet werden. Durch den Wegfall von Vorverstärker und externem A/D-Wandler können natürlich Kosten eingespart werden. Allerdings ist dafür die Anschaffung eines AES42-Receivers notwendig. Die Preise digitaler Mikrofone sind abhängig vom Hersteller noch leicht erhöht gegenüber den analogen Modellen. Ein finanzieller Vorteil entsteht also nicht zwangsläufig und ist im Kontext des gesamten Aufnahmesetups zu bewerten.

proaudio: Welche Erwartungshaltungen und Forderungen von digitalen Mikrofonen haben die Toningenieure beim NDR?

F. Albiker: Bei der Produktion hochwertiger Musikaufnahmen ist natürlich wichtig, dass der Klang digitaler Mikrofone mindestens genauso gut sein muss, wie bei den analogen Modellen. Weiter ist es den Toningenieuren sehr wichtig, dass die digitalen Mikrofone sich leicht in das übrige Setup einfügen und insbesondere bei der Handhabung und Steuerung den laufenden Betrieb nicht stören. So wäre die Steuerung der Mikrofone über das Mischpult eine zentrale Forderung; eine Steuerung über eine vom Mischpult abgesetzte Remote-Software wird hier sehr skeptisch betrachtet. Die möglichen Features wie z. B. Filter und Kompressoren werden als weniger relevant gesehen. Ein interner Limiter, wie er bei digitalen Neumann-Mikrofonen vorhanden ist, kann jedoch bei der Aufnahme von Schlagwerk und bei einer Live-Sendung sehr vorteilhaft sein.

proaudio: Bieten denn nun digitale Mikrofone einen qualitativ gleichen oder besseren Klang und wie sieht es mit der so oft beschworenen Wärme analoger Mikrofone aus?

F. Albiker: Die Wärme analoger Mikrofone ist an dieser Stelle eigentlich ein unberechtigter Einwand. Die Signale analoger Mikrofone werden im Laufe der Bearbeitung ebenfalls analog/digital gewandelt. Zur weiteren Bearbeitung liegt also in beiden Varianten ein digitales Signal vor. Die klangliche Qualität hängt dabei natürlich vom verwendeten A/D-Wandler ab.

proaudio: Welchen Höreindruck hatten denn die Probanden und wie groß war dabei die Streuung in den Aussagen?

F. Albiker: Die Mehrzahl der Probanden waren Toningenieure und Tonmeister, die mit der Produktion klassischer Musik sehr vertraut sind. Zudem gab es einige Probanden, die weniger Hörerfahrung in diesem Bereich haben. Bei den weniger hörerfahrenen Probanden stellten sich die Klangunterschiede als marginal bis nicht hörbar heraus. Die Mehrheit der mit klassischer Musik vertrauten Hörer bevorzugte jedoch auf Anhieb die digitalen Mikrofone. Neben anderen Attributen wurden hier einheitlich eine große Transparenz im Klang, eine sehr gute Auflösung über den gesamten Frequenzbereich und eine bessere räumliche Abbildung befunden.

proaudio: Hersteller bewerben digitale Mikrofone ja auch mit dem Slogan, dass es keine signifikanten Unterschiede zu dem Klang der analogen gibt. Konnten die Ergebnisse der Hörversuche dies unterstreichen?

F. Albiker: Bei diesem Test ging es nicht um einen Vergleich der Marken untereinander. Dennoch wurde aber deutlich, dass die genannten Klangunterschiede abhängig vom Hersteller stärker in Erscheinung treten oder auch schwächer bis nicht hörbar. Dies hängt sicher mit den unterschiedlichen A/D-Wandlern zusammen, die die verschiedenen Hersteller einsetzen.

proaudio: Hat der NDR sich, was das Projekt Elbphilharmonie angeht für den Einsatz von digitalen Mikrofonen entschieden?

F. Albiker: Hier ist noch keine Entscheidung gefallen. Dadurch, dass hier ein Aufnahmebetrieb ganz neu konzipiert wird, bietet dieses Projekt eigentlich einen guten Ansatz, um von vornherein auf eine neue Technik zu setzen. Wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist, kann ich aber nicht sagen.